ALLEZ BOUAKÉ!

Reporter reisen in die Elfenbeinküste





Editorial

Früher war die Elfenbeinküste das Vorbild für Westafrika. Bis 2002 der Bürgerkrieg das Land zerriss. Mehr als zehn Jahre später gibt es wieder Hoffnung. In der ehemaligen Rebellenhochburg Bouaké sieht man, wie Aufbruch glücken kann – und wie nicht.

Für ein paar Minuten am Morgen überblicken wir die Stadt. Wir stehen auf der Dachterrasse eines örtlichen Radiosenders, unter uns staubige rote Straßen und Marktstände. An der Kreuzung schneidet ein Mann Stoffe für ein Sofa zurecht, im Hinterhof legt eine Frau Wäsche auf ihrem Kopf zusammen, und ein paar Meter weiter schmirgelt ein Mechaniker den Lack von einem roten Wagen.

Wir sind 5000 Kilometer geflogen, um ein Land kennenzulernen, über das in Deutschland kaum berichtet wird. Ein Land, das den Bürgerkrieg erlebt hat und jetzt den Frieden sucht. Ein Land, über das wir anfangs nicht viel mehr wussten, als dass es in Westafrika liegt.

Elfenbeinküste. Fast versteckt stand der Passus in der E-Mail, die uns der journalistische Schulleiter Philipp Maußhardt Mitte September 2014, zwei Wochen vor Schulbeginn, schrieb. „Da wir im Frühjahr möglicherweise in die Elfenbeinküste reisen, klären Sie bitte, ob Sie Impfungen benötigen.“

Schlagzeilen über Ebola ließen die Reise ungewiss erscheinen. Dann wieder kippte die Finanzierung. Noch vier Wochen vorher glaubte niemand daran, dass wir wirklich fliegen würden. Dann waren wir da, in Bouaké, der einstigen Rebellenhochburg.

Wir waren gekommen, um zu erfahren, wie die Menschen den Krieg verarbeitet haben – und trafen auf Kollegen, die ihn miterlebt hatten: Radiojournalisten des Studio-École Mozaik aus der größten Stadt Abidjan reisten mit uns. Sie waren Journalistenschüler wie wir, mit einem völlig anderen Erfahrungsschatz. Wir bewunderten diese jungen, engagierten Ivorer, die ihrer Heimat endlich eine Stimme geben wollten.

Die Dachterrasse des Radiosenders in Bouaké wurde zum Ausgangspunkt gemeinsamer Recherchen. Zehn Tage lang besahen wir uns die Stadt aus der Vogelperspektive und aus der Nähe. Wir durchstreiften die Märkte, gingen in Tonstudios und Amtsstuben, trafen Bauern, Studenten und Politiker. Wir notierten, filmten, fotografierten, interviewten. Und Foto für Foto, Satz für Satz verstanden wir dieses Land ein bisschen mehr.

Elfenbeinküste. Einst Hoffnung Westafrikas, Jobmotor, Wirtschaftswunder. Dann kam der Bürgerkrieg 2002, politische Wirren, Nord gegen Süd. Seit 2012 herrscht Frieden. Ein Frieden mit angehaltenem Atem. Im Oktober 2015 stehen Wahlen an. Wir hatten die Hoffnung, ein Land im Aufbruch zu sehen. Gefunden haben wir Studenten, die an der Armut zugrunde gehen, Motorrad-Gangs, die die Straßen unsicher machen, Musiker, die sich keine Instrumente leisten können, Vertriebene, die nicht in ihre Häuser zurückkehren dürfen.

Gefunden haben wir aber auch Studenten, die durchhalten, weil sie Lehrer, Banker und Dichter werden wollen, Motorradfahrer, die die Wirtschaft der Stadt ankurbeln, Bauern, die dank Handy endlich Anschluss an den Weltmarkt gefunden haben, Schüler, die Deutsch lernen, und Lehrer, die Kant zitieren. Menschen, die Mut machen und uns hoffen lassen, dass er doch gelingen kann, der Aufbruch.

„ALLEZ BOUAKÉ!“ ist ein Online-Magazin, das in großen Geschichten und kleinen Porträts von einem Menschheitsthema erzählt: von einer Krise und wie sie überwunden wird, von alten Wunden und neuer Zuversicht.

Christine Luz und Raphael Thelen