Was geschieht, wenn deutsche und ivorische Journalisten aufeinandertreffen?
Das wollte die Zeitenspiegel-Reportageschule wissen und schickte uns in die Elfenbeinküste.
Von überwundenen Ängsten und wahren Klischees.
Noch bevor wir unsere Hotelzimmer bezogen hatten, klebten wir auf Plastikstühlen in einem Innenhof in Abidjan. Uns gegenüber die ivorischen Journalisten der Radioschule Mozaik, mit denen wir die darauffolgenden zehn Tage verbringen sollten. Der Leiter des Radios hatte uns zum Kennenlernen in seinen Garten eingeladen. Bald wurde Bier aufgetischt, frittierte Kochbananen, Reis, Fisch. Auf der Hut vor Malaria und Bakterien besprühten wir uns mit Moskitospray und untersuchten skeptisch die Mayonnaise. „Hattet ihr keine Angst vor Ebola und Boko Haram?“, fragten die ivorischen Journalistinnen Rita und Delegha am Buffet. Wir blickten irritiert zurück.
Während wir erschöpft von der Reise die neuen Gesichter musterten, fragten unsere Gegenüber munter drauf los, machten Witze. Sie holten aus uns heraus, was an Energie noch da war – und das mit Leichtigkeit. Mangelnde Französisch-Kenntnisse zählten nicht als Ausrede. Die Kollegin Rita verriet später, dass sie sich damals gewundert habe: Die Deutschen seien ja schön! Nicht nur die Franzosen und die Italiener, wie sie bis dahin vermutete. Sie hätten schöne Augen und Stil. Das Klischee mit dem vielen Bier hingegen, das stimme schon.
Mozaik – ein Radiostudio, das Journalisten in der Elfenbeinküste eine unabhängige Ausbildung ermöglicht, und die Zeitenspiegel-Reportageschule aus Reutlingen, wagten in diesen Tagen ein Experiment: zum ersten Mal trafen Journalistenschüler zweier Kontinente in diesem Land aufeinander, um gemeinsam zu arbeiten. Wir multimedial, sie für das Radio. Wir reisten zusammen nach Bouaké, wohnten zusammen, aßen zusammen, recherchierten zusammen. Wir wurden zu Partnern, zu Kollegen. Die meisten von ihnen waren das erste Mal in Bouaké, die meisten von uns das erste Mal in Afrika.

Wir merkten schnell: Die Kooperation ist für unsere Arbeit ein Geschenk. Bereits bei unserer Ankunft hatten wir ein Netzwerk an Einheimischen, das sich andere erst mühsam erarbeiten müssen. Außerdem waren unsere Kollegen nicht nur Ortskundige, sondern auch Journalisten und konnten uns mit dem richtigen Blick auf unsere Themen weiterhelfen. Und sie haben uns beeindruckt: mit ihrer Selbstsicherheit gegenüber Autoritäten, ihrer direkten Art bei Interviews und ihrem professionellen Umgang mit sozialen Netzwerken. Unsere Mitschülerin Pascale formulierte es so: „Rita hat mir wieder gezeigt, dass Journalismus nicht immer das endlose Ringen um das beste Wort ist. Sondern vor allem da zu sein. Im richtigen Moment nicht wegzusehen. Und es in die Welt hinauszuschreien auf allen Kanälen.“ Wir teilten zwar keine gemeinsame Muttersprache, dafür eine gemeinsame Berufssprache.
Doch abseits des Arbeitsalltags öffnete sich ein Horizont an Erfahrungen, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Unsere Kollegen haben vor wenigen Jahren einen Krieg erlebt, um ihr Leben gebangt und um das Leben ihrer Familie. Heute setzen sie sich unter widrigen Bedingungen für unabhängigen Journalismus ein. In der Elfenbeinküste werden kritische Journalisten noch immer unterdrückt, bedroht oder entführt. Gepolstert von der heilen Welt Deutschlands fiel es uns auf einmal schwer, Parallelen zu ziehen.
Da ist zum Beispiel Kollege Popsy, mit dem wir in Bouaké seinen 30. Geburtstag feierten. Seit zwei Jahren ist er Journalist. In seinem Traum kann er von überall in der Welt arbeiten. Er wohnt in Abidjan, in einem Hochhaus mit 40 Wohnungen. Als der Krieg ausbrach, blieben nur fünf Bewohner. Popsy war einer davon. Er sprach darüber in leisem Ton, der Blick klebte an seinem Handy. Oder die Kollegin Murielle. Sie hätte aus Abidjan fliehen können, doch ihre Familie lebte in einem Haus in der gefährdeten Zone. Murielle konnte sie nicht im Stich lassen. Es waren diese Gespräche, die uns etwas von jener Ebene vermittelten, zu der wir keinen Zugang haben. Ein Gefühl für die Krise, die das Land durchstehen musste.
Je mehr Zeit verging, umso verstrickter war jeder in seine Geschichte, umso erpichter darauf, noch mehr Material zu sammeln. Freizeit hatten wir wenig, doch der Zusammenhalt blieb. „Kaum hatte ich mein Zimmer verlassen, hörte ich schon jemanden meinen Namen rufen und wurde mit Handschlag begrüßt“, beschreibt es Mitschülerin Christine. Es ist unseren Kollegen zu verdanken, ihrer ausdauernden Neugierde und Offenheit, dass unser Zusammentreffen lebendig blieb. Aber auch – und hier stimmt das Klischee – der Musik. Natürlich feierten wir, tanzten und musizierten. Nach einer langen Nacht mit Zouglou-Rhythmen im Club neben dem Hotel mussten wir uns jedoch eingestehen: Auch die besten unter uns wanken im Vergleich wie Bojen hin und her, wenn Ivorer zu tanzen beginnen.
Das Zusammentreffen endete dort, wo es begann: in einem Innenhof in Abidjan mit Essen und Musik. Erschöpft von der letzten Nacht in Bouaké und der langen Recherche stimmten wir das Geburtstagslied für Radio Mozaik an, das an jenem Abend sein einjähriges Bestehen feierte. Angst vor Boko Haram oder Ebola hatten wir nie. Auch jene vor Malaria und Bakterien war bald vergessen. Verschluckt vom Trubel der Stadt, weggewischt von der Wärme unserer Kollegen. Unserer Freunde.